Der Weihnachtsbaum

Prämierte Kurzgeschichte der Nachbarschaftshilfe Zürich 2005


Von Rainer Dietewich 



Der Verkauf von Weihnachtsbäumen fängt an diesem kalten Dezembermorgen schon früh morgens an.
Alex stiefelt noch ganz verschlafen,mit roten Augen und Stoppelbart von Baum zu Baum.
Seine geschwollenen Tränensäcke unter den Augen zeugen von einer langen Nacht.



Fast desinteressiert begutachtet er die Nadelbäume.Zum ersten mal in seinem Leben hat er sich dazu entschlossen,einen Christbaum zu kaufen.Alex,mitte dreissig,Single,sein Leben lang schon alleine.Arbeitslos.So stellt er sich vor.Er wohnt gleich neben dem Markt,in der Ackersteinstrasse 85.
Misstrauisch schaut er vom Markt aus zu seiner Wohnung hoch,zu seinem Fenster.Welchen Baum sollte er nehmen? Grösser,breiter,schmäler oder höher? Er ist sich unschlüssig.Wie schon sein ganzes Leben lang.Alex sieht zu seinem Nachbarn.Dort steht bereits schon ein kleines Bäumchen vor dem Fenster.Mit bunten Lichterketten geschmückt.Nachbar,keine Ahnung wer genau das ist,denkt sich Alex.Hat ihn ein paar mal gesehen,beim Einkaufen.Ein alter Mann.Vielleicht so alt wie die Hausnummer ihres Wohnblocks.85.Unbekannt also.


 

Alex scheint etwas gerührt bei dem Gedanken,so gar nichts über seinen Nachbarn zu wissen.Obschon es genau dieser Weihnachtsbaum,von seinem Nachbarn ist,der ihn ermunterte,selbst einen Baum zu kaufen.Also hat er plötzlich doch einen Bezug zu seinem Nachbarn gefunden.Während er mit seinen Gedanken so dasteht,mitten unter vielen Nadelbäumen,zum Fenster empor blickt,wo gerade beim Weihnachtsbaum die Lichter ausgehen,spürt er eine tiefe leere in sich.Eine Träne läuft über seine Wange,als ihm bewusst wird,wie einsam er selber doch ist.“Auch Männer dürfen mal weinen!“höhrt er eine Frauenstimme neben sich sagen und spürt die Hand der Verkäuferin auf seinen Schultern. Beflügelt von der Einsamkeit ist er fest entschlossen,heute noch was gutes zu tun. Und so steht er plötzlich vor der Haustüre seines Nachbarn.


Er klingelt und sieht vor sich eine schmutzige alte Türe.Das ganze Haus ist alt und schmutzig.Wie es wohl beim Nachbarn aussieht,denkt sich Alex und erwartet jeden Moment das die Türe aufgeht.
Zuhause sollte er ja sein. Hat er doch gesehen wie die Lichter beim Weihnachtsbaum ausgingen heute morgen.Jeden Tag beobachtet er das Spiel des alten Mannes.Um acht Uhr abends die Lichter ein,um sechs Uhr morgens wieder aus.Doch die Türe geht nicht auf.Enttäuscht bricht Alex seine gute Tat ab.
Nur mit Mühe bringt er seinen Weihnachtsbaum vor dem Fenster gerade zum stehen. Statt schmucker Lichterkette benutzt Alex eine Lichtgirlande vom Vorgarten.Und statt glitzerne Christbaumkugeln müssen süsse Aepfel herhalten.Schliesslich schmückt er mit Papierschnitzel den Baum noch etwas farbiger. Bei einem Glas Bier gleich um die Hausecke beim Wirtshaus „zum Hirschen“ erzählt er der Serviertochter stolz von seinem Werk.Kumpels hat er keine,deshalb hört die nette zierliche kleine Frau wenigstens halb interessiert zu.Am nächsten Tag ist Heilig Abend.Alex steht wiederum vor der Türe seines Nachbarn.Diesmal mit einem Geschenk in der Hand.Auf einen guten Ratschlag seiner Serviertochter hin hat er sich feine Kirschstengel besorgt.Aber wiederum macht niemand die Türe auf.



Besorgt und genervt geht er wieder zurück in seine kleine Wohnung.Er möchte an diesem Abend diesen Mann aber unbedingt kennenlernen.Also ruft er die Polizei an,schildert das Problem und wartet.



Es ging lange bis sich zwei Beamten der Stadtpolizei die knirschenden alten Holztreppen hoch bemühten.Nach langem hin und her entschlossen sie sich schliesslich dazu,die Türe aufzubrechen.
Dieser Moment war eine spannende Angelegenheit.Willkommene Abwechslung für die Langeweile im Leben von Alex.Er bekam Gänsehaut als sie in die Wohnung eintraten.Ein übler Geruch steigt ihnen gleich in die Nase.Hier wurde die Wohnung anscheinend schon lange nicht mehr gereinigt.Zusammen laufen sie langsam durch den Korridor in Richtung Wohnzimmer.


 

Es ist ein kleiner Raum,mit einer Wohnwand,wo ein Fernseher steht.Rechts davon das Fenster mit dem leuchtenden Weihnachstbaum.In der mitte des Raumes steht ein Sofa.Man sieht von hinten einen Mann darin sitzen.Alex läuft zu ihm hin.Er berührt mit seiner Hand die Schultern jenes Nachbarn,den er endlich kennenlernen darf.Doch sogleich zuckt er zusammen und schreit.Der Nachbar war tot.


Und dies muss er schon seit längerem sein.Der Anblick der Leiche bringt Alex zum weinen.Die Polizei nimmt ihre Arbeit auf.Und Alex lernt einen Mann kennen Namens Eddi Van Broken.Ein seit zwanzig Jahren pensionierter HolländerFrüher arbeitete er bei der Bahn.Heute sitzt er immer noch auf dem Sofa,seit mehreren Wochen tot.Herzinfarkt.So die spätere Diagnose der Ermittlungen seitens der Polizei.Am nächsten Morgen durchschaut Alex nochmals die Wohnung von Eddi.Der Weihnachtsbaum ist an einen Zeitschalter angehängt.er sieht die Programmierung darauf.Abends um acht die Lichter ein,morgens um sechs wieder aus.Alex lacht und weint zugleich.Er hat ihn also reingelegt,sein Nachbar,der Holländer.Im weiteren sieht er in einer Schublade beim Küchentisch Unterlagen von der Bank.Dabei ist klar geregelt,das die Schwester von Eddi monatlich die Rechnungen und Mieten erledigt.Er hat also eine Schwester.Sie scheinen es auch nicht gerade gut miteinander gehabt zu haben,denkt sich Alex. Und durchforstet weiter die Wohnung nach brauchbaren Unterlagen und derweilen,um wenigstens jetzt noch dem armen Eddi helfen zu können.Aber viel ist da nicht zu finden.Die Behörden werden sich auch keine Beine ausreissen,denkt Alex beim Anblick des Weihanchtsbaumes.Er legt sein Geschenk unter den Baum,wischt sich die Tränen aus dem Gesicht und verlässt die Wohnung.Kurze Zeit später sitzt Alex wieder im „Hirschen“.Alleine an einem kleinen Tisch in der Ecke des Raumes.Er spricht mit niemandem,und es scheint sich auch kein anderer Gast für ihn zu interessieren.Am Stammtisch ist der Tot eines alten Mannes gleich um die Ecke Thema des Tages.


 

 

Ende.

Schöne Zähne

Tramgeschichten  von Rainer Dietewich

 

Es ist einer dieser schönen Fahrten am frühen morgen auf der Tramlinie 8

der Sonne entgegen Richtung Hardplatz. Ich spüre den Frühling durch die leicht schmutzige Frontscheibe der Führerkabine,

wo noch restliche Spuren von Schnee und Salz kleben und mir die Sicht trüben.

Trotzdem lächle ich den scheinbar friedlichen Fahrgästen  entgegen.

Zurück kommt nichts. Stört mich nicht. Geniesse meinen Frühdienst.

Ein älteres Pärchen steigt ein.

Langsam und doch sicheren Trittes steigen sie ein.Ganz im Vertrauen mir gegenüber das ich die Türe offen halte. Sie danken mir mit einem lächeln zurück. Die Frau hebt zum Dank ihre rote Mütze kurz hoch und lacht. Also doch. Die Fahrt bis Hardplatz dauert nicht lange und nachdem alle ausgestiegen sind bin ich kurzgebunden auf dem Weg zur Toilette. Das ältere Pärchen steht draussen vor der Tür und lächelt mir zu. Bekanntlich ist die Toilette beim Hardplatz ja unter der Hardbrücke. Also kaum habe ich die Türe etwas später wieder offen und bin bereit für die Fahrt zurück Richtung Feierabend steht das ältere Pärchen vor mir.Lächelnd. Dankend. Fragendes Blickes grüsse ich sie wieder. Worauf mir die Dame eine etwas ungewöhnliche Frage stellt. „ Sind das schöne Zähne die sie haben, sind die noch echt?“ Natürlich konnte ich mir ein breites lachen nicht verkneifen worauf der Mann meinte „ halten sie ihren Zähnen sorge,

denn meine hier und auch diejenigen meiner lieben Frau  sind auch noch echt!“

Und beide lachend gehen sie weiter unter der Brücke hindurch ihren

 gemeinsamen Weg wohin auch immer.

Sichtlich erfreut ab diesem Kompliment war mein Lachen für die nächste Runde etwas breiter. Eine gute halbe Stunde später kommt ein Aufruf der Leitselle, es werde eine ältere Frau mit roter Mütze gesucht, ihr Mann habe sie nähe Hardplatz zuletzt gesehen.

Bevor ich über die Ruftaste die Leitstelle über meine kürzliche Bekanntschaft informieren möchte, werfe ich noch einen Blick in den Innenrückspiegel und sehe in den hinteren Sitzreihen eine Frau. Eine ältere Frau mit roter Mütze. Und lacht mich an. Stolz mit ihren eigenen Zähnen. Ich lache zurück. „ Leistelle Müller bitte melden…….?“

 

Ende